Tom Scott ist vielleicht heute noch mein Lieblings-Saxophonist. Nicht, weil er über eine so atemberaubende Technik verfügen würde –hat er wahrscheinlich, kann ich aber nicht beurteilen – sondern weil er einfach unglaublich schöne Melodien spielt, und dazu dynamisch und rhythmisch mitreissend.

Vermutlich werde ich im Laufe der Zeit noch einige Perlen aus seinem Backkatalog ausgraben. Den Anfang aber macht „Maybe I’m Amazed“ – eine weniger bekannte Paul McCartney-Komposition vom „Northern Songs“-Album, unmittelbar nach dem Beatles-Aus entstanden und Pauls Ehefrau Linda gewidmet. In den USA landete die Single auf Platz zehn. Immerhin. Für Beatles-Verhältnisse allerdings: ein Flop. Dennoch haben sich einige prominente Namen an dem geschmeidigen Song versucht, darunter Joe Cocker, J.C. Croce, Nancy Sinatra und die Rabauken von den Faces. Mir aber hat es die Instrumental-Version von Tom Scott angetan, erschienen auf dem 1982 veröffentlichen Album „Desire“. Das Werk nahm Scott, so stand es in den Liner-Notes und hat mich schwer beeindruckt, komplett live auf. Mit einer Musiker-Garde erster Güte – wie Michael Landau, Jerry Hey, Ernie Watts und Vinnie Colaiuta –  gelang das natürlich. So gut, oder besser gesagt: so perfekt, dass man spontane Live-Atmosphäre eher vergeblich sucht. Deshalb dürfte Tom Scott, der einstige Bebop-Freak und John Coltrane-Jünger, für Jazz-Puristen auch mit dieser Einspielung viel zu glatt und kommerziell klingen. Dass der Kalifornier seinem Tenor-Saxophon aber wunderbare Töne entlockt, sollte selbst für seine schärfsten Kritiker außer Frage stehen. Und sein Solo in dem emotionalen, rhythmisch synkopierten und mit schönem Gospel-Klavier ausgestatteten Track? Einfach großartig. Meine Lieblings-Stelle ­kommt nach rund drei Minuten: da lässt in der Bridge ein messerscharfer Bläsersatz die Sonne aufgehen. „Maybe I’m Amazed“ – keine Frage, ich war es damals und bin es noch heute.